Noch in den 1960er-Jahren waren rund 60 Prozent der Grundschullehrkräfte Männer. Heute ist der Hausmeister häufig der einzige Mann an Grundschulen – mit zahlreichen Nachteilen für den Bildungserfolg und die Sozialisation von Jungen. Ein Projekt in Bremen will das ändern.
Projektleiter Dr. Christoph Fantini (3.v.r.) mit einigen „Teachermen“ bei einer Fortbildung
Fragt man Grundschulkinder, warum es so wenige Lehrer an ihrer Grundschule gibt, antworten viele: „Frauen sind schlau, Männer sind stark“. Der Mangel an männlichen Vorbildern an Schulen prägt von Anfang an die Einstellung von Kindern zur Bildung und reproduziert Geschlechterklischees. Dies wirkt sich vor allem bei Jungen prägend auf ihre Bilder von Männlichkeit und letztlich auch auf ihre Berufswahl aus.
Dabei ist das Grundschullehramt ein gutes Beispiel für einen Beruf, der das Geschlecht gewechselt hat. Noch vor 60 Jahren waren Männer in den Lehrerkollegien in der Überzahl. Heute haben sie eher einen Exotenstatus. Ihr Anteil liegt bei durchschnittlich 12 Prozent, das heißt, dass es in vielen Kollegien keinen einzigen Mann gibt.
Und so fehlen Jungen in Grundschulen männliche Identifikationsfiguren. „Eine bestimmte Gruppe Jungs braucht unbedingt männliche Lehrkräfte und männliche Ansprechpartner in der Schule für ihren Bildungserfolg, um Dinge von sich zu erzählen und sich aufgehoben zu fühlen und um ein vielfältiges Bild von Männlichkeit zu entwickeln“, sagt Dr. Christoph Fantini, Erziehungswissenschaftler und Bildungsforscher an der Universität Bremen. Diese Gruppe habe häufig das Gefühl, die Grundschule sei nicht für sie gemacht. Viele Jungen identifizierten sich mangels anderer Vorbilder stark mit draufgängerischen Helden aus den Medien, die mit Schwertern, Pistolen und sonstigen Waffen die Welt retten und Probleme im Zweifel auch mit Gewalt lösen. Dies belegen mehrere Studien. „Der Genderfaktor ist dabei stärker als die soziale Schicht“, erläutert Fantini. „Diese Vorstellungen finden Sie sowohl bei Jungen an Schulen in benachteiligten Stadtteilen als auch in privilegierten.“
Jungen fehlen also Vorbilder für eine positive, liebevolle und zugewandte Männlichkeit.
Viele Jungen identifizieren sich mangels anderer Vorbilder an Helden aus den Medien, die mit Waffen die Welt retten.
Dr. Christoph Fantini, Projektleiter Universität Bremen
Das Projekt wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter der Diversity Preis 2021 der Freien und Hansestadt Bremen.
Mehr Männer in die Grundschule
Christoph Fantini wollte diese Situation nicht mehr einfach so hinnehmen. Fantini, der sich in seiner Forschung mit Männlichkeitsbildern auseinandersetzt, nahm Kontakt zu Grundschulen auf und vermittelte zunächst zwei seiner Lehramtsstudenten dorthin als Honorarkräfte. Das war 2010. Daraus erwuchs das Projekt „Rent-a-Teacherman“, das erfolgreich den Männeranteil an Bremer Grundschulen erhöht. In den letzten Jahren wurde ein wachsender Pool aus Lehramtsstudenten aufgebaut, die in den Schulen unterrichten. Gab es zu Projektbeginn noch 19 männerfreie Grundschulen in Bremen (von insgesamt 74), ist die Zahl inzwischen auf fünf gesunken. Das Projekt ist eine Kooperation zwischen der Universität Bremen und der Senatorin für Kinder und Bildung.
Das kann Philip Biskup, einer der Teachermen, bestätigen. „Ich hatte in meiner Schulzeit den einzigen Lehrer an der Schule, er war ein Vorbild für mich damals. Heute will ich den Kindern zeigen: Männer sind genauso schlau wie Frauen – und auch cool“, ergänzt er grinsend. Biskup arbeitet in der Grundschule Blomendal und freut sich über die Möglichkeit, stereotypen Geschlechterbildern etwas entgegenzusetzen. Außerdem sammelt er erste Berufserfahrung. Seine Schulleiterin Maribel Ramirez bestätigt: „Er zeigt den Kindern auf, dass sie eben nicht eingeschränkt sind in ihrer Wahl und ihren Wegen, und dass über den eigenen Tellerrand hinübergeguckt werden kann.“
Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet, so entstehen Bachelor- und Masterarbeiten zu Teilaspekten. Die Lehramtsstudenten führten zum Beispiel Interviews mit Schülerinnen und Schülern und konnten in ihren Arbeiten ihren Einfluss als Vorbilder aufzeigen. Jungen bekommen mit Lehrern eine Erweiterung des Spektrums von Männlichkeit vorgelebt und erfahren Schule und Lernen als etwas Positives, in dem sie genau wie Mädchen erfolgreich sein können. Nicht zuletzt erleben sie den Beruf des Grundschullehrers als etwas auch für Männer Normales. Natürlich profitieren auch Mädchen von dem erweiterten positiven Bild von Männlichkeit. Nicht überall sind Väter aktiv und zugewandt in der Erziehung, nicht überall gibt es überhaupt Väter.
Wie das Projekt Geschlechterstereotypen entgegenwirkt, zeigt sich nicht nur bei den Kindern. Selbst diejenigen Schulleiterinnen, die den Kollegen zunächst skeptisch gegenüberstanden, haben heute Männer in ihren Kollegien. Auch die Universität Bremen profitiert, denn durch das Projekt ist die Abbruchquote unter jungen Männern im Grundschullehramt gesunken. „Die Studenten merken: hier geht es auch um mich“, beschreibt Christoph Fantini den Effekt. Die Medienpräsenz, die die Teachermen immer wieder haben, bringt den Beruf des Grundschullehrers ins Bewusstsein junger Männer.
Teachermen jetzt auch in Oberschulen
Die Einsatzmöglichkeiten der Teachermen sind sehr vielfältig: von Lese- und Theaterprojekten, über Kochgruppen, Assistenzen, Co-Teaching, bis zu Rap-AGs, Schreibwerkstätten und geschlechtshomogenen Angeboten zur Sexualpädagogik. Die Teachermen werden in vielen Fällen von den Schulleiterinnen und Schulleitern nach ihren studentischen Einsätzen als Referendare und dann als fest eingestellte Lehrkräfte übernommen.
Seit 2021 können auch Oberschulen, die einen Mangel an männlichen Lehrkräften haben, bei Rent-a-Teacherman Mitarbeiter für vorübergehende, idealerweise aber langfristige Einsätze anfragen. Mindestens ein Jahr sollen die angehenden Lehrer in den Schulen unterrichten. Diese Expansion des Projektes entstand jeweils dadurch, dass Leitungskräfte oder Schulaufsichten für andere Schultypen an Christoph Fantini herangetreten waren und Teachermen anfragten. Finanziert wird die Ausweitung über Bundes- und Landesmittel, zum Teil auch über das Startchancenprogramm.
„Der Role-Model-Effekt ist deswegen so stark, weil sich Kinder an ihrer Wirklichkeit orientieren“, weiß Christoph Fantini. „Selbst wenn die Lehrerinnen reflektiert mit dem Thema Gender umgehen und versuchen, anhand von Materialien die Botschaft zu vermitteln, dass alle Berufe für alle offen sind und Mädchen und Jungen das machen können, was ihren Stärken entspricht, dann reicht das einfach oft nicht. Doch wenn Jungen erleben, dass dies ein Mann, mit dem sie sich identifizieren können, nicht nur sagt, sondern auch vorlebt, dann kommt die Botschaft eher an.“
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