Almut Schnerring und Sascha Verlan
Puppenmuttis und wilde Piraten
Wie Werbung und Spielwarenindustrie Rollenbilder prägen
2006 fand in Berlin der erste deutschsprachige Kongress zum Thema Gendermarketing statt, jener Werbestrategie, die Umsätze zu steigern versucht, indem sie das Warenangebot und die Publikumsansprache auf das Geschlecht der Menschen hin ausrichtet – nur zwei Geschlechter wohlgemerkt, daran änderte auch das richtungsweisende Urteil des Bundesverfassungsgerichtes für einen dritten positiven Geschlechtseintrag nichts.
Seitdem gibt es Männersalz und Chips für den Mädelsabend, extra mild. Es gibt Nabelschnurscheren in rosa und hellblau. Erstlesebücher für Jungen mit Abenteuergeschichten und für Mädchen voller Prinzessinnen, Einhörner und ganz viel Haushalt. Es gibt Managermüsli für Krawattenträger und eine Bibel für Frauen, Männerpflanzen und Frauenbratwürste, geschlechtergetrennte Mineralwässer, Putzmittel, Handwerksutensilien, Wurst und Käse … es gibt kaum noch einen Lebensbereich, der nicht auf solch absurde Weise gegendert würde, auch Hundeleinen übrigens.
Die Unternehmen mögen argumentieren, dass sie auf diese Weise ihren Umsatz und Gewinn steigern und damit letztlich das Bruttoinlandsprodukt stärken, mag sein. Gesamtgesellschaftlich betrachtet und auf lange Sicht schadet Gendermarketing, weil es insbesondere Kinder einschränkt in der „freie[n] Entfaltung der Persönlichkeit“ (Grundgesetz Artikel 2), oder, wie es im Gute-Kita-Gesetz des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) heißt, in der Freiheit „zu entdecken, was in ihnen steckt und ihre Talente zu entfalten“.
Rote T-Shirts, blaue T-Shirts
Ebenfalls 2006 veröffentlichten Meagan Patterson und Rebecca Bigler von der University of Texas die Ergebnisse einer Studie mit Vorschulkindern, in der sie nachweisen konnten, dass bereits die willkürliche Einteilung in zwei Gruppen Einfluss hat auf Interessen und Verhalten der Betroffenen.
Die Kinder wurden dafür in eine blaue und eine rote Gruppe eingeteilt. Drei Wochen lang trugen die einen ein rotes T-Shirt, die anderen ein blaues. Blaue und Rote wurden gleichmäßig auf zwei Räume verteilt, sodass sich in beiden Räumen Kinder in roten und in blauen Shirts aufhielten. Im einen Raum wurden die Farben nicht weiter erwähnt, im anderen dagegen sprachen die Erzieherinnen und Erzieher die beiden Kategorien immer wieder an: „Guten Morgen Blaue, guten Morgen Rote.“ Sie verteilten blaue und rote Schildchen, die Kinder sollten sich morgens in zwei Reihen nach Rot und Blau getrennt aufstellen und so weiter.
Als die Kinder beider Räume danach zu mehreren Themen befragt wurden, zeigte sich, dass sie lieber mit Kindern derselben Farbgruppe spielen wollten und auch Spielsachen lieber mochten, die die Kinder der eigenen Gruppe bevorzugten. Und bei den Kindern aus dem Raum, in dem die Erzieherinnen und Erzieher die Farbunterschiede regelmäßig betont hatten, waren diese neuen Vorlieben noch sehr viel stärker ausgeprägt.
Ersetzt man nun rote und blaue T-Shirts gegen rosa und schwarze Spielzeugschachteln, gegen pinke und blaue Müsliverpackungen, dann zeigt sich, dass Kinder (und auch Erwachsene) jeden Tag aufs Neue zu Teilnehmenden der oben genannten Studie werden, allerdings ohne zeitliche Begrenzung, pädagogische Begleitung oder gar Auflösung.
Spielzeugkisten für Mädchen, für Jungen
Bereits in den 1980er-Jahren, also lange bevor in den USA Gendermarketing als Werbestrategie entwickelt wurde, haben die Psychologin Marilyn Bradbard und der Psychologe Richard Endsley belegen können, dass Vorschulkinder dreimal so lange mit einem Ball oder mit einem Xylophon spielen, wenn ihnen zuvor gesagt wurde, es sei ein Spielzeug für ihr eigenes Geschlecht. Und umgekehrt verlieren sie sehr viel schneller das Interesse, wenn sie erfahren, es sei eigentlich für das andere Geschlecht gemacht.
Das kann so weit gehen, dass Kinder ein gerade noch interessantes Spielzeug plötzlich ignorierten, sobald ihnen ein Label verraten hatte, dass es für die jeweils andere Gruppe gedacht war: der sogenannte Hot Potato-Effekt. Also nicht das Ding an sich, sondern seine Zuordnung zum einen oder anderen Geschlecht verändert das Spielen, verlagert Interessen und hat damit Einfluss auf die Kenntnisse und Fähigkeiten, die ein Mensch im Laufe seiner oder ihrer Sozialisation erwirbt.
Dabei reicht es schon, wenn an sich neutrale Spielsachen in zwei Kisten verteilt werden mit der Aufschrift „für Jungen“ und „für Mädchen“. Während in der Kontrollgruppe alle Kinder mit allen Spielsachen spielten, interessierten sich in der anderen Gruppe plötzlich die Mädchen für die ihnen zugewiesenen Spielsachen und die Jungen für die Spielsachen aus der „Jungen-Kiste“. Dabei zeigte sich auch, dass Mädchen (beziehungsweise Jungen) beispielsweise in Geschicklichkeitsspielen jeweils dann erfolgreicher waren, wenn ihnen zuvor gesagt wurde, das Spiel sei für ihr Geschlecht entwickelt worden.