„Wir verfolgen ein Konzept der ganzheitlichen Ausbildung“
Beim Energieversorger EAM in Kassel hält mit Beate Lopatta-Lazar erstmals eine Frau die Zügel der Ausbildung in der Hand. Ihr Konzept der „ganzheitlichen Ausbildung“ stellt die Bedarfe der jungen Menschen in den Mittelpunkt und die Ausbildung im Unternehmen auf ganz neue Füße.
Der Fachkräftemangel insbesondere in den technischen Berufen macht vor dem mitteldeutschen Netzbetreiber und Energielieferanten EAM nicht halt, im Gegenteil. Azubi-Recruiting ist auch hier kein Selbstläufer. Der demographische Wandel und der generelle Trend weg von der dualen Ausbildung hin zum Studium erschweren die Nachwuchssuche. Als Beate Lopatta-Lazar 2015 die Ausbildungs- und Weiterbildungsleitung übernahm, als erste Frau und ohne den bis dahin üblichen technischen Hintergrund, ging sie mit frischen Ideen und einem ganz eigenen Blick an die Sache heran. Heraus kam das Konzept der sogenannten ganzheitlichen Ausbildung, das Lopatta-Lazar mit ihrem Team entwickelt hat. Ihr Credo: „Man muss aus der Zielgruppe heraus denken.“ Die Zielgruppe, das sind in erster Linie Schülerinnen und Schüler sowie ihre Eltern.
Das Konzept
Die EAM GmbH & Co. KG unterhält am Standort Baunatal bei Kassel einen Ausbildungscampus. Dort werden alle angehenden Fachkräfte aller Standorte gemeinsam ausgebildet. Drei Sozialpädagoginnen bzw. -pädagogen kümmern sich um die Belange der Jugendlichen, gestalten Freizeitangebote und unterstützen beim Lernen. Im Haus gibt es Sportangebote, ein eigenes Kino, sogar ein Tonstudio und einen Probenraum für die Musikalischen unter den Azubis. Nachhilfeangebote unterstützen gezielt beim Lernen für die Berufsschule. Direkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite finden sich die Ausbildungswerkstätten. „Wir bilden nicht nur aus, wir begleiten die Jugendlichen auch beim Erwachsenwerden“, erläutert Lopatta-Lazar.
Was auf den ersten Blick nach viel Aufwand klingt (und zunächst auch ist), zahlt sich langfristig für das Unternehmen aus. „Wir wollten alle Auszubildenden fachlich auf einen Nenner bringen“, erklärt Beate Lopatta-Lazar. „Für alle wollen wir das gleiche Niveau sicherstellen.“ Darüber hinaus stärke die gemeinsame Ausbildung den Zusammenhalt, gerade, weil die Elektronikerinnen und Elektroniker für Betriebstechnik nach der Ausbildung an weit auseinanderliegenden Standorten eingesetzt werden. Ebenfalls sehr wichtig: Die zentralisierte Ausbildung unterstütze das Lernen. Die Azubis lernten voneinander, und zwar nicht nur fachlich, auch sozial. „Die Auszubildenden finden hier eine tolle Gemeinschaft und Verbundenheit. Es ist wie eine Familie.“
Die Azubis leben montags bis freitags am Ausbildungscampus in Baunatal und fahren über das Wochenende nach Hause. Der Tag startet mit einem gemeinsamen Frühstück, um 7:00 Uhr beginnt die Arbeit. Nach Feierabend gibt es Freizeit- oder Lernangebote für alle, die diese wahrnehmen wollen. Die Sozialpädagogen sind bis 22:00 Uhr erreichbar, zwei leben mit ihren Familien sogar auf dem Campus in Dienstwohnungen.
Die Ganzheitlichkeit umfasst noch mehr als das gemeinsame Lernen oder die Freizeitangebote. Für Beate Lopatta-Lazar spielt insbesondere der Umgang miteinander, die Kommunikation und die Feedbackkultur eine entscheidende Rolle. Neben der fachlichen und schulischen Unterstützung ist es ihr wichtig, den Auszubildenden auf Augenhöhe zu begegnen. Sie führt jährliche Feedbackgespräche, die ausdrücklich in beide Richtungen gedacht sind. Dabei bespricht sie mit Azubis Stärken und Entwicklungsfelder und versucht, mit ihnen zu erarbeiten, wo sie noch besser werden können. Die Azubis geben auch ihr Feedback, können Ideen einbringen und Verbesserungsvorschläge machen. „Wir wollen immer besser werden. Die Idee zu unserem Ausbildungsmesseteam kam zum Beispiel von den Azubis selbst. Das Team stellt auf Ausbildungsmessen unsere Berufe und die Ausbildung vor und wirbt aktiv um neue Azubis.“ Lopatta-Lazar setzt auf klare Regeln und Kommunikation auf Augenhöhe. Von Hierarchiedenken oder Machtdemonstrationen hält sie im Umgang mit ihren Azubis nichts. „Man braucht Menschen, die an einen glauben und einem etwas zutrauen.“
Teamorientierung ist ein weiteres Schlagwort in der EAM Ausbildung. Sie sei immer wichtig im Berufsleben, insbesondere aber in so sicherheitsrelevanten Bereichen wie der Energieversorgung, sagt Beate Lopatta-Lazar. „Da muss man sich ganz besonders aufeinander verlassen können. Das lernen unsere Azubis hier, weil sie so viel zusammen machen.“
Das Unternehmen bildet auch Geflüchtete, unter anderem unbegleitete Minderjährige aus. Für sie ist der Campus in Baunatal ihr Zuhause, sie leben dort. „Von den Geflüchteten profitieren alle Azubis. Sie erleben, dass andere mit einer gewissen Demut in ihre Ausbildung gehen, weil sie froh über die Chance sind. Sie erfahren auch, wie es ist, ohne Eltern aus einem Kriegsgebiet zu fliehen oder überhaupt Krieg zu erleben“, sagt die Ausbildungsleiterin.